Gofio
Erfinderisch sind die Menschen immer dann, wenn es darum geht, den leeren Magen zu füllen. Da aber der Homo Sapiens während des Essens schon an die nächste Portion denkt, kann er seine Siesta erst richtig genießen, wenn er sich seines Lebensmittelvorrats sicher ist.
Die Guanchen waren wahre Überlebenskünstler. Sie nutzen das Wenige, was es auf den Inseln gab. Da sie Angst vor dem wilden Atlantik hatten, gab es noch nicht einmal Fisch auf ihrem Speiseplan. Getreide wurde zu Gofio verarbeitet. Dazu wurde es zuerst geröstet und dann fein gemahlen. Die Mühlsteine wurden von Eseln bewegt, die stundenlang im Kreis um das Mahlweg herumliefen.
Auf Fuerteventura gab es öfter längere Dürreperioden, dann musste man so lange warten bis der gesegnete Regen kam. Wenn nicht in diesem Jahr, dann eben im nächsten Jahr. Die Samenkörner des Coscos, ein blutrotes Kraut, welches auf dem Wüstenboden wuchert und abstoßend wirkt bei der Vorstellung, es essen zu müssen, dienten den Canarios während einer langen Dürre zur Gofiozubereitung.



Die Getreidekörner, Weizen, Mais oder eben Coscos wurden geröstet und dann mit Mühlsteinen zu ganz feinem Mehl gemahlen, zu Gofio. Mit ein wenig Wasser, Salz, Chili, Kümmel und zerstoßenem Koriander knetet man es zu einem Teig (pelota de Gofio), der dann in Scheiben geschnitten als Beilage dient. Andere bereiten den Gofioteig mit Zucker oder Honig und getrockneten Früchten zu. Jede "Mama" hat natürlich ihr eigenes Rezept.
Die Männer bewahrten den Gofio in einem kleinen Ziegenledersack auf, dem Zurron, wenn sie aufs Feld oder zum Fischen gingen. Wie eine Wurst wird das Gofio mit ein wenig Wasser im Zurron über dem Knie gerollt und geknetet.
Vierzehn Tage war Don Agustin mit seinem Esel unterwegs, wenn er von Tuineje, einem kleinen Bergdorf auf Fuerteventura, zur Nordküste ritt, um für den Fischvorrat der Familie zu sorgen. Begleitet wurde er bei diesen langen Touren immer von einem mit Gofio gefüllten Zurron und einer Flasche Rum. Es konnten auch ein paar Flaschen sein. Beides Grundnahrungsmittel der alten Canarios. Der Rum löscht den Durst und man merkt den Ritt auf dem Esel nicht so stark.
"Welch ein' Geschmackssound!" kam einem befreundeten Komponisten aus Berlin über die Lippen, als er ein typisches Gericht probieren durfte. "Sancocho majorero", Fischtopf aus gepökeltem Fisch und Kartoffeln, eine "pelota de Gofio", Ziegenkäse, Mojo (scharfe Tunke aus Öl, Knoblauch und Gewürzen) und Rum.
Die meisten mitteleuropäischen Geschmacksnerven sind sicherlich mit dieser Geschmacksvielfalt überfordert. Ein wahrer Genuss ist."Gofio-escaldado (östliche Inseln) oder auch Escaldon (westliche Inseln). Hier verrührt man den Gofio mit einer Fischbrühe eines "Caldo de Pescado" (Fischtopf mit frischen Fisch und Kartoffeln) oder der Brühe eines "Pucheros" (Fleischtopf mit Gemüse) oder der Brühe einer "Potaje" (Gemüsesuppe) zu einem Brei. Diesen Brei löffelt man mit Zwiebelscheiben und beträufelt ihn mit "Mojo de Cilandro" (Öltunke mit Knoblauch und Koriander).
Schon die kleinen Kinder gewöhnen sich an den für Mitteleuropäer seltsamen Geschmack des Gofios. Die Flaschenmilch wird mit Gofio und Zucker oder Honig aufgeschüttelt. Und die Erwachsenen trinken das Gleiche zum Frühstück, aber aus einer Tasse.
Ganz egal, ob süß oder pikant, Gofio sättigt. Es gibt genug davon in der Speisekammer. Den Rest besorgen wir morgen früh. Und der Rum, der war auch gut. Jetzt kann man die Siesta im Schatten einer Palme voll genießen. Die Palmenwedel säuseln im Wind und begleiten das Rauschen des Meeres. Keine Last, keine Sorgen. Kleine Kinder naschen Gofio mit Zucker. Ihr Lachen verliert sich in der Ferne des Traums. Ein spanisches Sprichwort sagt-. "Barriguita Ilena, corazon contento" (Gefüllter Magen, zufriedenes Herz)